Werte und Kultur im Fokus: Marc Paczian von Dropbox im Vertec-Interview

16.03.2020
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Marc Paczian ist nicht nur Solutions Architect, sondern auch kultureller Botschafter von Dropbox. Im ersten Teil des Interviews mit Vertec-Geschäftsführer Tobias Wielki erklärt der New Work Veteran, was eine gelungene Unternehmenskultur auszeichnet, wie man Werte erfolgreich in der eigenen Firma verankern kann und wieso Soft Skills im Bewerbungsprozess von Dropbox teilweise ein höheres Gewicht haben als Hard Skills.

Wie schaffe ich es, eine Firmenkultur in meinem Unternehmen zu verankern?

Marc Paczian: Das ist eine super Frage, denn was sind eigentlich die Grundvoraussetzungen für eine Firmenkultur? Man gründet eine Firma und oft ergibt sich die Firmenkultur dann automatisch, sie passiert einfach. Wenn das Unternehmen wächst, fängt man an die Kultur zu definieren. Wir bei Dropbox definieren unsere Firmenkultur über die Unternehmenswerte. Auf diese Werte können sich alle einigen. Sie geben an, wofür wir stehen und wo wir hin wollen. Für uns ist zum Beispiel„worthy of trust“ der wichtigste Unternehmenswert. Bei dem was wir machen, ist es total logisch, dass das ein Unternehmenswert ist und auch in unserer Kultur verankert ist. Für mich ist eine Firmenkultur eine Wertekultur. Sie steht für die Werte, die man als Unternehmen vertritt. Das ist eigentlich das, was dann nachher die Firmenkultur ausmacht.

Häufig werden diese Werte von der Geschäftsführung etabliert. Aber vielleicht sind das für den Grossteil der Mitarbeiter gar nicht ihre Werte oder vielleicht definieren sie diese anders. Wie bekommt man das unter einen Hut?

Marc Paczian: Irgendwann sagt man: Das sind unsere Werte, dafür steht unsere Firma und das ist auch der Grund, aus dem die Leute hier jeden Tag morgens zur Arbeit kommen. Es kann natürlich sein, dass ein kleiner Kreis diese Werte definiert. Aber dann fängt man auch an, Menschen basierend auf diesen Werten, der Kultur, einzustellen. Der Einstellungsprozess ist bei uns ein bisschen anders, als in anderen Unternehmen. Natürlich gucken wir bei Bewerbern auf der einen Seite immer darauf, dass sie zu ihrer Rolle passen. Auf der anderen Seite kann man Hard Skills lernen, Soft Skills eher nicht. Die hast du oder die hast du nicht. Deswegen stellen wir auch nach einem Cultural Fit ein. Wir führen Interviews, die nicht nur auf die Rolle den Fokus legen, sondern auch auf unsere Unternehmenswerte. Wir prüfen, ob die Leute, die sich bei uns beworben haben, einen „cultural fit“ besitzen. Wir ermöglichen potenziellen Mitarbeitern so, zu gucken, ob sie unsere Kultur mögen und dazu passen. So entsteht dann wirklich eine Firmenkultur, die sich weiterentwickelt. Und das hört auch nie auf. Das ist wichtig.

Im Zweifelsfall würdet ihr die Soft Skills vorziehen, im Vergleich zu den Hard Skills? Wenn jemand gut passt, aber vielleicht die Skills noch nicht so gut zur Rolle passen, würdet ihr eher ein Okay geben, als einem Top-Shot, der einfach kulturell nicht passt?

Marc Paczian: Ich glaube, der grundlegende Wert, der uns bei Dropbox vereint, ist Vertrauen. Vertrauen, das wir in das Unternehmen haben, das wir in unseren Job haben und das wir aber auch jeden Tag wieder zurück erhalten. Ich kann schon beim Einstellungsprozess feststellen, ob die Person „worthy of trust“ ist. Es kann sein, dass wir sagen: Das ist ein top Typ, der erreicht seine Ziele, der übererfüllt Ziele, aber leider vertraut ihm niemand im Unternehmen. Solche Personen sind für jede Unternehmensumgebung toxisch.

Vertrauen kann auch subjektiv sein. Da muss man ja unter den Entscheidern im Bewerbungsprozess ein Mittel finden…

Marc Paczian: Absolut, deswegen ist das auch ein gemeinsamer Prozess. In der Regel führen wir zwischen fünf und zehn Interviews. Das kommt ein bisschen auf die Rolle an. Im der technischen Vertriebsunterstützung oder im Presales gibt es beispielsweise mehr Interviews, weil die Skills breiter sind. Man muss Technik verstehen, präsentieren und klar und empathisch kommunizieren können. Das sind bei uns alles eigenständige Interviews. Im Anschluss treffen sich alle in den Prozess involvierten in einer Videokonferenz mit einem Moderator, der vorher nicht beteiligt war. Er moderiert dann das Gespräch. Und dann entscheiden wir im Konsens, ob wir diese Person einstellen wollen oder nicht. Wenn ein Bewerber bei den Unternehmenswerten durchfällt, dann ist die Entscheidung schnell getroffen. Da kann der Hiring-Manager sagen, was er will. Es wird nicht funktionieren.

Inwiefern hängen denn Firmenkultur und New Work für dich zusammen? Ist gute Kultur nicht schon immer ein Instrument für Erfolg und konstruktive Zusammenarbeit gewesen?

Marc Paczian: Ob die Themen Firmenkultur und New Work zusammenhängen kommt darauf an, wie ich das definiere. Für mich gibt es zwischen den beiden Themen nicht zwingend einen Zusammenhang. Es kann Firmen geben, die eine sehr gute Kultur haben, aber überhaupt nichts mit New Work zu tun haben. Wenn ich beispielsweise im produzierenden Gewerbe tätig bin, kann ich eine super Unternehmenskultur haben und meine Mitarbeiter top behandeln. Trotzdem können die Mitarbeiter kein Home Office machen, weil sie Dinge zusammenschrauben müssen. Wenn wir über New Work reden, denken wir oft an Wissensarbeiter. In diesem Bereich gibt es Korrelationen, aber das ist nicht in allen Bereichen so. Ich glaube, dass die Grundlage für eine gute Firmenkultur Vertrauen ist. Eine Vertrauenskultur, die ich am Arbeitsplatz etablieren muss. Aus dieser Vertrauenskultur als Unternehmensphilosophie ergibt sich dann New Work. 

Wir haben bei Dropbox eine Vertrauensarbeitszeit. Ich muss meinen Mitarbeitern also vertrauen, dass sie ihren Job erledigen und ihn gut machen. Wenn sie das machen, ist es mir letztendlich total egal wann sie arbeiten und auch wo sie arbeiten. Wenn einer sagt ‚Hey, ich arbeite gerne Donnerstagvormittags aus einem Café heraus‘, dann kann er das machen. Warum auch nicht? Es geht darum, dass der Job getan werden muss. Nach meinem Verständnis ist New Work weder orts- noch zeitunabhängig, sondern ergebnisorientiert. Auf der anderen Seite ist New Work hip, ein Trendthema. Alle wollen jetzt New Work machen. Dabei vergessen sie, dass ihre Firmenkultur das gar nicht unterstützt. Und dann passt es nicht zusammen. Ja, es gibt Abhängigkeiten zwischen Firmenkultur und New Work, denn ich muss beides zusammen haben, damit es funktioniert. Aber nur, weil ich New Work mache, heisst es nicht, dass ich im Rückschluss auch eine gute Firmenkultur habe.

Ich erlebe es immer wieder, dass Firmen offiziell erlauben, dass ihre Mitarbeiter Home Office machen können. Eigentlich ist die Kultur aber nicht passend und die Mitarbeiter fühlen sich schlecht, wenn sie es machen…

Marc Paczian: Ja, Vertrauen und Kontrolle ist ja auch so ein Thema... Vor allem im Mittelstand vertreten noch viele Unternehmen die Einstellung, wenn sie nicht kontrollieren, haben sie die Lage auch nicht im Griff. Ich merke selbst auch, dass ich aus der alten Schule komme und an dem Punkt bin, mehr loszulassen. Man muss damit leben, dass gewisse Dinge vielleicht unter dem Radar durchfliegen.

Dropbox stellt seine Firmenkultur unter das Motto „Culture eats strategy for breakfast“. Was steckt genau dahinter? 

Marc Paczian: Zuerst: Das ist nicht unsere offizielle Firmenkultur, sondern das ist ein Zitat von dem Unternehmensphilosoph Peter Drucker. Ich bin, wie er der Überzeugung, dass egal wie toll deine Strategie ist, ohne eine exzellente Kultur in deinem Unternehmen, kannst du sie total vergessen. Interessanter Weise sieht man das häufig auch bei Grosskonzernen. Je nachdem welcher Manager gerade da war, wie toll seine Strategien waren, wenn die Kultur die Idee nicht mit trägt, wird es nicht funktionieren. Es gab einen sehr guten Grund, warum Apple sich Steve Jobs zurückgeholt hat. Und der war nicht, weil die Strategie so schlecht war. Sondern, weil es einfach nicht mehr funktioniert hat, weil Strategie und Kultur nicht mehr zusammengepasst haben.

Wenn die beiden Dinge nicht zusammenpassen, kann ich an beiden Schrauben drehen. Ich kann meine Strategie verändern oder ich kann meine Kultur verändern. Aber wenn ich meine Ziele erreichen will, heisst es ja immer ich muss stärker an der Kultur arbeiten, um die Strategie zu unterstützen. Ich kenne viele Unternehmen, wo diese beiden Dinge eigentlich nicht so richtig zusammen passen. 

Marc Paczian: Genau, beispielsweise im Vertrieb. Die Strategie lautet, möglichst viele Verträge abzuschliessen oder Dinge zu verkaufen. Da merkt man schnell, wie die Kultur des Unternehmens ist. Ob es wichtig ist, dass Ziele erreicht werden, oder ob es wichtig ist, dass du das Beste für deine Kunden tust. Wenn du dich an die grosse Finanzkrise von 2008 erinnerst, wo in einer dieser Banken die Vertriebsmitarbeiter Verträge im Milliardenbereich ausgestellt haben, ohne vorher mit den Kunden zu sprechen, weil das der einzige Weg war, um ihre Ziele zu erreichen. Dann weisst du, was ich meine mit Strategie und Kultur. Die Strategie war, viel zu verkaufen. Und irgendwann hat einer angefangen und gesagt: Hey, die Ziele und diese Strategie, das funktioniert nicht. Nicht auf normalem Weg. Selbst wenn ich tausend Leute am Tag anrufe, schaffe ich es nicht. Also suche ich mir einen Workaround und lasse Ethik und Moral mal weg. Diese Chance sieht einer, ergreift sie und die anderen machen es wohl möglich nach, weil sie das gleiche Problem haben. Und dann pflanzt sich das intern fort. Dann sind Ethik und Moral plötzlich nicht mehr so wichtig wie Strategie und Ziele. Das führt zu einer extrem schlechten Unternehmenskultur und am Ende des Tages führt es dazu, dass auch Banken pleitegehen können. Mit Milliarden an Rückforderungen.

Wie spielt da für dich die Vision mit rein? 

Marc Paczian: Das ist genau das Thema: Habe ich eine endliche Vision, ein endliches Ziel oder habe ich ein Ziel, was ich eigentlich nie erreichen kann, sondern was immer weiter lebt? Ein gutes Beispiel ist Dropbox. Wir wollen nicht die Nummer eins am Markt für Collaboration-Software sein, denn dieses Ziel ist irgendwann erreicht. Und was ist dann, wenn du die Nummer eins bist? Was machst du dann? Ziel erreicht, Haken dran, nächste Firma gründen? Unser Ziel ist, dass wir Menschen ermöglichen, besser und fokussierter zu arbeiten. Wir helfen heute schon Millionen von Menschen mit der Entwicklung unseres Smart Workspaces genau das zu tun, aber wir sind noch nicht fertig, weil es immer noch Menschen gibt, die sich nicht fokussieren können am Arbeitsplatz. Für die es super schwierig ist, mit anderen zusammenzuarbeiten, weil ihnen die Tools fehlen. Unsere Vision hat einen ganz grossen Einfluss auf die Kultur und wie sich die Mitarbeiter in unserem Unternehmen fühlen. Zum Vergleich: Bei der Bank war das Ziel, die Nummer eins am Markt zu sein und die meisten Abschlüsse zu erzielen. Da ist es irgendwann egal, wie ich das erreiche. Es zählt nur, dass ich es erreiche. Für uns ist dagegen der Weg super wichtig. Ich glaube das unterscheidet uns von vielen anderen Firmen.

Zum zweiten Teil des Interviews .

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